Und alle wieder patriotisch ... ?

Hallo Bluebloggs,

"Es gibt Tage wie diese ...", die werden fast grauenhaft. Jetzt also wieder die Zeit, die Zeit der Fahnen an den Autos, an den Häusern und im Gehirn. Urplötzlich besinnt man sich auf das Heimatland, urplötzlich ist man wieder "stolz", ein Angehöriger dieser Nation zu sein, zumindest nach einem Sieg. "Die Deutschen sind nur bei einer EM/WM patriotisch, ansonsten ist alles egal". Dieser Ausspruch stammt von einem Feldwebel der ISAF. ISAF heißt zunächst International Afghanistan Stabilization Force, auf gut Deutsch; Internationale Schutztruppe von Afghanistan. Das ist der springende Grund. Sinkende Beteiligungen an Wahlen, vonm Gemeinderat bis hoch zur Bundesregierung, sinkendes Interesse am Ehrenamt, immer häufiger Missbrauch von Sozialleistungen prägen das Bild einer Gesellschaft, welche anscheinend nichts mit dem Vaterland am Hut hat, außer bei einer EM oder WM. Da fiebert man mit "unseren" Jungs, während die Soldaten in ihrer Uniform auf der Heimfahrt mit der Bahn manchmal nur noch mit schiefen Blicken angeschaut werden, als wenn man Aussätzige vor sich hätte. Für nun fünf Wochen sind wir nun Deutsche, für "verteidigen" unser Land an der Werkbank oder am Schreibstisch gegen den Arbeitskollegen, welcher vielleicht ein T-Shirt von ITALIA oder gar Brasilien trägt. Da greifen wir zur verbalen Waffe, in der restlichen Zeit sind uns die Probleme dieser Welt schnurzegal.

Schwarz, rot und gold, fast niemand kennt die Herkunft und Bedeutung dieser Farben. Fast niemand kennt noch die Entsehung dieser Farben in der Mitte Europas, fast niemand respektiert mehr die Opfer und Entbehrungen der Anfangsjahre. Niemand erkennt mehr die Leistungen der Nackkriegsgeneration an, welche zumindest im damaligen Westdeutschland unter dem Schutzschirm der inzwischen verpönten USA wieder groß wurde. Niemand erinnert mehr an die Leiden der Bevölkerung im Osten unter der SED-Diktatur, nur 25 Jahre nach dem Mauerfall sind Stasi und SED nur noch Abkürzungen für blöde Witze und Anekdoten, zumeist für die meisten Mitbürger. Immerhin, hier herrscht wieder Einheit, beim Feiern.

Beim Feiern zieht man sich das Trikot an, geht zu Freunden und fiebert mit. Man schwenkt die Farben wie eine Vereinsfahne und denkt sich nichts mehr Großartiges dabei. Seit der HeimWM 2006 gibt es ja wieder diese farbenfrohen Aufmärsche, sogar wieder in Berlin. Allerdings wird alles in Partyform verpackt und zelebriert, und das ist auch gut so.

Ich persönlich habe mit der Nationalmannschaft nie viel anfangen können. Bitte nicht falsch verstehen, ich stehe zur Nation und deren Werte. Allerdings spielt sich für mich der wahre Fußball im Verein ab, von der untersten Liga bis zur höchsten Spielklasse. Hier lebt der echte Fußball, jede Woche für Woche und nicht an fünf Wochen alle zwei Jahre.

PS: Ich wünsche "unseren" Jungs in Brasilien und "unseren" Mädels und Jungs" in Afghanistan und sonstwo auf der Welt alles Gute, seid erfolgreich und kommt gesund heim.

RaMü

RaMü