Immer die Linie 1

Hallo Bloggs. Wenn man unterwegs ist, kommt man ab und zu zwangsläufig mit Kultur oder zumindest Touristen zusammen. Und so war es auch bei mir, bei meinen drei vollen Tagen in Wien. Also jetzt der Touriteil. Normalerweise bereite ich mich immer generalstabsmäßig vor. Ich stelle mir einen Plan auf. Was besuche ich wie, warum, wann und wieso? Und dann arbeite ich diese Liste ab. Diesmal bin ich einfach los, der Nase und dem Gefühl nach.
Das Gefühl war zunächst nicht besonders, siebeneinhalb Stunden Anfahrt mit der Bahn und der ständigen Maskenpflicht haben Spuren hinterlassen. Die Vorfreude auf weitere Zeit in den öffentlichen Verkehrmitteln war daher begrenzt. Aber es ging, der Mensch kann viel aushalten, wenn man will. Und da gehört diese Maskenpflicht wahrlich noch zu den einfacheren Übungen.
 
Bitte erwarte jetzt niemand eine komplette Aufzählung aller Sehenswürdigkeiten der österreichischen Hauptstadt. Ich schildere nur meinen Ablauf, mehr nicht. Den ersten vollen Tag begann ich mit einer kleinen Rücktour nach Hütteldorf, der Heimat von Rapid Wien. Ich fuhr mit der S8 direkt vom Bahnhof Wien-Meidling und benötigte rund eine starke Stunde, hin und Bilder machen.
 
 
Von dort nahm ich die U4 mit umsteigen auf die U1, um zum angeblich absoluten Zentrum Wiens zu gelangen, dem Stephansplatz. Und tatsächlich, trotz Corona war der Platz mit dem Dom sehr gut besucht, ein Rundgang war aber trotzdem möglich.
 
 
Danach ließ ich mich treiben, schlenderte den Massen nach, zwängte mich durch enge Gassen, genoß das Flair des alten Wiens, erschauderte beim Anblick der weltweit sattsam bekannten Einkaufsstraßen mit den alles beherrschenden Labels, stöberte ich Buchläden, fotografierte verwunschene Ecken und herrlich alte Hinweisschilder. Kurzum, es war wunderschönin.
 
 
Dann stellte sich der Hunger ein und ich bestellte mir in einem Straßencafe das absolute kulinarische Muss, das "Wiener Schnitzel". Also jedes Restaurant wirbt mit dem "besten" Schnitzel der Stadt, und läßt sich das schon teuer bezahlen. Der Kartoffelsalat heißt ja hier "Erdäpfelsalat" und ist oftmals die einzige Beilage. Außer dem Bier natürlich. Wenn das Wetter schön ist, gehört die Einnahme des Mittagessen unbedingt ins Freie verlegt. Das hat was, das nennt sich Flair.
Danach ging es weiter, immer weiter, bis die Füße schwer wurden und der vorige Tag sich langsam bemerkbar machte. Ich blies zum Rückzug und fuhr wieder zurück, diesmal mit der Linie 1 der Straßenbahn. Und siehe da, von der Haltestelle Windtenstraße waren nur fünf Minuten zum Hotel. Die nehme ich jetzt immer, die rote Linie 1.
 
 
Gesagt, getan, ab sofort Linie 1. Sie verbindet einige der größten und weniger großen Sehenswürdigkeiten und am nächsten Tag war ich relativ früh schon auf den Beinen, der angekündigten Hitze wollte ich aus dem Weg gehen. Der erste Halt war der Karlsplatz. Dann weiter ein paar Haltestellen bis zum Burgring. Bei diesem wirklich gewaltigen Schloß, bin ich natürlich zuerst im hinteren Schloßgarten gelandet, der Weg zur Vorderansicht offenbarte aber auch viele Eindrücke. Dann stellte ich mir die Frage, wieviel Parks, Grünflächen, Wiesen und Bäume hat eigentlich Wien? Vermutlich stimmt die Aussage, dass diese Stadt die grünste Stadt Europas ist. Dann bin ich weiter. Weiter mit der Linie eins bis zur Hetzgasse, zum Hundertwasserhaus. Den Abschluß bildete dann die Endstation an der Hauptallee im Prater.
 
 
Das verspätete Mittagessen habe ich dann auf dem "weltberühmten" Prater eingenommen. Hier ist das ganze Jahr über Rummel, aber irgendwann ist einem ein Vergnügen, das immer und überall zu haben ist, auch überdrüssig. Ich habe mich dann für den Schweizerhof entschieden. Die meisten Tische waren reserviert, für Einzelgäste war aber abseits noch genügend Platz. Es war eine Abzocke, eine "Tourist trap", wie die Amerikaner sagen. Einzig das Bier war überragend, aber sonst? Zurück wieder mit der Linie 1, 28 Haltestellen, welche einen tollen Querschnitt von Wien zeigen. Abends dann Fussball.
Am letzten vollen Tag, zumindest der Vormittag erneut diesselbe Haltestelle. diesmal Fahrt bis zur Fasangasse. Allerdings vorher umsteigen auf die Linie 18. Hier ist das Heeresgeschichtliche Museum zuhause und allein das Areal aus Kaiserszeiten und noch älter ist gigantisch. Es war heiß, deshalb bin ich auch schon früh dort gewesen. Wer sich für Militätgeschichte interessiert und Zusammenhänge der letzten Jahrhunderte erkennen will, ist hier gut aufgehoben.
 
 
Wichtigstes Ausstellungsstück war ohne Zweifel das Originalauto, in dem der österreichische Thronfolger 1914 in Sarajewo ermordet wurde. Dieses Attentat führte zum ersten Weltkrieg. Dieser Ausgang führte zwangsläufig auf Umwegen zum  zweiten Weltkrieg. Dessen Auswirkungen brachte die Trennlinie zwischen Ost und West und somit hat dieses unscheinbare Automobil und die damit verbundenen Nachfolgen Symbolcharakter. Es ist der Zeitzeuge der europäischen Geschichte der letzten rund 110 Jahre. Eindrucksvoll, wenn man um die Bedeutung weiß. Es war warm, also auf ins Arsenalcafe, diesmal aber ein Hamburger. Ich habe alle drei Mittagessen im Freien eingenommen und im Nachhinein kann sich sagen, das hier war das Beste. Das Schnitzel in der Innenstadt war o.k., der Preis entsprechend hoch. Im Prater war es zwar günstig, aber ein Allerweltsessen. Und hier passte alles.
 
 
Danach ging es aber auch schon zurück zum Hotel, denn am frühen Abend war ja dieses Match in Amstetten. Dazu musste ich wieder zum Bahnhof Meidling und unterwegs wieder durch diese Wohnblöcke, welche doch stark an die DDR erinnerten. Aber diese Siedlungen wurden früher gebaut, in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Sozialer Wohnungsbau war damals aufgrund des Zusammenbruchs der Monarchie das alles beherrschende Thema, die Lösung war eine damals eingeführte Wohnsteuer. Damit wurde alles finanziert.
 
 
In Amstetten habe ich wenig Zeit gehabt. Die Bezirkshauptstadt des Mostviertels bot zumindest im Stadtkern bei brütender Hitze wenig an Motiven, lediglich die Pfarre Herz Jesu Kirche bot sich an.
 
 
Im Prinzip gibt es noch viel mehr zu berichten, aber das würde den Rahmen sprengen. Was bleibt hängen? Für mich war es eine echt tolle Reise. O.k., es war nach über siebzehn Monaten wieder ein klassischer Fussballtrip nach meinem Geschmack. Da sieht man alles bunter, fröhlicher und berauschter. Fussball ohne Abstand und Maske auf den Rängen, dann eine mir bislang unbekannte Metropole / Schande? und einfach die Tatsache, es scheint wieder Stück für Stück in Richtung Normalität zu gehen. Vielleicht bleibt Österreich sogar mein vorrangiges Ziel, England ist mir trotz der Lockerungen immer noch zu riskant. Warten wir es ab.
 
Keep the faith.
RaMü
 
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