Fußball & Geschichte !

Hallo Bluebloggs,

ratlos stand ich bei Energie Cottbus vor dem Kiosk mit der Liste, da stand ganz unten bei Bratwurst, Schnitzelweck & Co dann KAMMSCHEIBE. Ich habe es nicht bestellt, dafür die bundesweit bekannte Bratwurst. Die kostete 2,30 €, in Babelsberg bezahlte ich 2.50, Regionalliga wohlgemerkt. Dafür waren die Preise bei den Stadionheften gleich, 100 Cent musste man bei beiden Clubs jeweils hinlegen. In Cottbus sind die Hefte erst seit der Winterpause kostenpflichtig, bei den Null-Dreiern wohl schon länger. Auf der Tribüne in der Lausitz konnte man dann einen Blick in den VIP-Bereich erhaschen. Da drängte sich ein Zuschauer mittleren Alters vorbei und drückte seine Nase an den Scheiben platt. Mein erstauntes Gesicht kommentierte er mit den entschuldigenden Worten: "Saufen und dann verlier`n, datt könn`se!". Als ob die zahlenden Zuschauer nachher auch spielen ?!?.

Wenn man im Osten unserer Republik unterwegs ist, kommt man an deren und somit doch unserer gemeinsamen Geschichte nicht vorbei. Schließlich tobte sich hier das Experiment DDR & Sozialismus aus, die Folgen davon sind bis heute noch sichtbar und spürbar. Zwar verwischen die Spuren der Vergangenheit immer mehr, aber bei genauerem Hinsehen sieht man schon noch Zeugen der ehemaligen Bauern- und Arbeiterrepublik.. Natürlich gehört auch ein gehöriges Stück Interesse an der Vergangenheit dazu, gerade Berlin bietet ja dem Besucher an jeder Ecke ein übergroßes Angebot. Allerdings benötigt man zusätzlich ein beträchtliches Hintergrundwissen, vieles der heutigen Situation zu verstehen und zu begreifen. Mit Kratzen an der Oberfläche ist es nicht getan.

Mein Hotel war im Statdtteil Hohenschönhausen. Kenner horchen da schon auf, schließlich war ein größerer Teil davon früher mal Sperrgebiet, früher in der DDR. Ich war zwar schon mal dort und habe im Stasi-Gefängnis eine Führung mitgemacht. Diese werden ausschließlich von ehemaligen Häftlingen durchgeführt und sind daher besonders beeindruckend oder auch bedrückend. Ich hatte dies nicht vor und wollte den gesamten ehemaligen Sperrbezirk erkunden, oder wie man früher sagte, ausspähen. Der gesamte Bereich war damals mit einer Mauer umgeben, wieder mal, und scharf bewacht. Heute ist die Absperrung verschwunden und lediglich eine Markierung auf dem Boden zu sehen. Es gibt allerdings noch etliche Orginalgebäude und Hinweißschilder erklären den Sachverhalt.

Es war nur ein Baum, welcher mein Interesse weckte. Er war auch auf dem Bild zu sehen, welches das ehemalige Tor der Anlage zeigte. Der Baum ist also Zeitzeuge und ich war in den Begleittext vertieft, da sprach mich jemand an: "Da ham` se uns verscheißert, da drinnen". Neben mir stand ein vielleicht 75-Jähriger Mann mit seinem kleinen Hund. Es wurden die schönsten 45 Minuten meines Ostbesuches. Wir waren uns sofort sympatisch, der Urbewohner von Hohenschönhausen und der interssierte Wessi. Er zeigte mir das Fälschergebäude, indem die Stasi Geldscheine des Westens kopierte. Er fluchte über das Haus, indem Maschinen zum unbemerkten Öffnen der Briefe entwickelt wurde. Er wußte jetzt ziemlich viel, nur damals waren es eben nur Vermutungen. In einer Fußballhalbzeit habe ich sein fast ganzes Leben erfahren, vom ehemaligen Taxifahrer in der DDR. Nachhilfeunterricht in ostdeutscher Geschichte pur. Ich war geduldig, denn hier war ein lebendiges Stück Erfahrung, zum Anfassen und fragen. Irgendwann meldete sich sein Hund, dem treuen Gefährten wurde die Sache zu langweilig. Zum Schluß verabschiedeten wir uns, dann kam ein gelangweilte Schulklasse vorbei. Den Blick fast ausschließlich ins Smartphone vertieft, die Ohren mit Stöpseln versiegelt und mit Gegröhle und lautem Lachen lief man achtlos an der Tafel vorbei in Richtung der Hauptattraktion, dem Stasigefängniss. Den Baum würdigte man keines Blickes, auch da waren wir uns dann einig. Die jungen Leute von heute wissen fast nichts, nichts vom Leben in einer Diktatur, und von der Geschichte. Aber, auch da herrschte Übereinstimmung; besser so als wie damals, in der Zeit vor 25 Jahren und davor, als der Staat DDR mit seinem Experiment am Mut seiner unterdrückten Bewohner unterging.

PS: Am Arbeitsplatz konnte ich dann endlich das Rätsel mit der KAMMSCHEIBE lösen. Jüngere Kollegen mit Geburtort Freiberg/Sachsen oder Erfurt waren ratlos, erst ein gleichaltriger Werkstättiger aus Sachsen-Anhalt erklärte mir dann: "Junge, Junge, das ist ein Nackensteak, das musste doch wissen, du weißt doch sonst immer alles !". GRIIINNNSSS.

Bild: Stasigefängnis in Hohenschönhausen

Bild: Das ehemalige Sperrgebiet heute.

Bild: In den Hinterhöfen.

Bild: Bahnhof in Babelsberg.

Bild: Karl-Liebknecht-Straße.

Bild: Hintere Gassen in Cottbus.

Bild: Tja, das war mal. VEB Stadtbrauerei in Cottbus.

RaMü