"Der verrückte Dirigent"

Hallo Bloggs. Ich habe bewußt das Ergebnis des Endspiels in der Champions League sacken und das Netz zunächst mal austoben lassen. Speziell in Deutschland war die Schadenfreude über die Niederlage von ManCity groß. Die meisten Fussballfans hatten Chelsea mit seinen vier Deutschen kurzerhand adoptiert, mangels eigenem nationalen Teilnehmer. Dass jetzt drei deutsche Trainer hintereinander den Henkelpott gewonnen haben, zeigt aber auch, deutsche Trainer können es. Und das ist doch auch was.

Das sieht auch die englische Presse so. Da hier die Konkurrenz in Sachen Boulevard deutlich größer ist, gibt es auch viel mehr deutliche, bissigere Kommentare. Da hatte aber ManCity noch Glück, schließlich war der Henkelpott eh schon in England. Aber man beginnt zu hinterfragen, kann Pep überhaupt Champions League? Oder scheitert das Genie immer wieder an seinen eigenen Ansprüchen?

Im Vorfeld habe ich schon mein Grummeln im Unterbewußtsein geäußert. Mir wäre Real Madrid lieber gewesen. Und Pep ist immer wieder für eine Überraschung gut. Auch dieses Mal hatte der "verrückte Dirigent", so die seriöse Tageszeitung Guardian, wieder einen Plan parat, welche den Gegner überraschen sollte. Irgendwie hat sich der Katalane wieder verzockt. ManCity war wieder nicht ManCity, der Plan war zu anspruchsvoll. Der Matchplan des Thomas Tuchel war viel besser, weil einfacher. Er hat innerhalb kürzester Zeit aus einem verunsicherten Haufen eine kompakte Mannschaft geformt, welche im entscheidenden Match griffiger und bissiger wirkte. Er hat den Kader übernommen, wie er war, und er hat Schwung in den Laden gebracht. Es gab auch Rückschläge, das FA-Cup Endspiel gegen Leicester City ging bekanntlich mit 0:1 verloren. Auch die sichere Quali für die nächstjährige Champions League über die Liga war lange Zeit hart umkämpft. Bei ManCity kam dagegen etwas Schlendrian auf. Die Meisterschaft in der Premiership war längst gesichert, im Endspiel um den FA-Cup spielten andere. Der Hype um den Weggang von Vereinslegende Agüero überschattete fast die Botschaften über die Vorbereitung für das Endspiel. Und so fiel die Spannung etwas ab, statt sich langsam, aber sicher mit Blick auf das Endspiel aufzubauen.

Natürlich hat der verletzungsbedingte Wechsel von Kevin de Bruyne dem Spiel der "Citizens" einen Bruch getan, just begann das Spiel zu kippen. Aber das Ding war schon vorher verzockt. Letztlich kam fast keine vernünftiges Torchance zusammen. Das Match lebte vom engen Ergebnis, dem Tempo und der Spannung. Man muss ehrlich sein, Timo Werner, nunmehr im blauen Dress hat das gemacht, was VfB-Fans noch kennen. Er braucht zu viele Torchancen. Überhaupt steckt in Chelsea relativ viel Stuttgart drin. Auch Rüdiger spielte bekanntlich am Neckar, wurde aber vom "schwierigen Umfeld" auch nie richtig anerkannt. Zu unbeholfen, zu wenig filigran wirkten seine Aktionen. Und hat nicht Tuchel beim VfB seine ersten Erfahrungen als Coach gesammelt? Ich schweife ab ...

Nun ist es alsp passiert, ManCity hat das Endspiel vergeigt und "nur" zwei Titel. National. Die Fans im himmelblauen Dress sind gespalten. Der internationale, deutlich jüngere Teil ist richtig enttäuscht, der UK-based und somit auch etwas ältere Teil gelassener. Wer vor über zwanzig Jahren noch den Club zu Auswärtsspielen nach York oder Gillingham begleitet hatte, für den sind Fahrten nach Europa oder gar zu einem Endspiel der Champions League immer noch wie ein Wunder. Für die britischen Supporters ist die Meisterschaft eh wichtiger, denn da kann man Nachbarn Manwho? direkt ausstechen. Der Alltag zählt, nicht der Sonntag. So die Logik.

Der wunderbare Aufstieg innerhalb zweier Jahrzehnte ist auch der Grund warum Proteste zur European Super League an der Ashton New Road im Prinzip ausblieben. Erstens ist ihr Lieblingsclub als letztes Mitglied eingetreten und hat als erstes Club wieder die Fliege gemacht. Den Verantwortlichen war nie richtig wohl bei der Sache. Der Hauptgrund für die ESL war das garantierte Geld, unanhängig vom Erfolg. Da hat Arsenal und Co wohl deutlich nötiger als das ultrareiche ManCity. Die Supporters wissen genau, wer das Stadion, die gigantische Trainingsanlage gebaut und vor allen Dingen bezahlt. Wer sich an den Kosten der Straßenbahn in Richtung Stadion und darüber hinaus beteiligt und wer für rund 200 Jobs mehr in dem gebeutelten Randbezirk gesorgt hat. Letztes praktisches Beispiel war die Übernahme von Reisekosten von Fans für den Trip nach Porto. Kurzerhand bezahlte City die zusätzlichen Rechnungen für Coronamaßnahmen, subventionierte Flüge nach Portugal und einiges mehr. Spötter sagen; ManCity kauft sich so seine Fans. Andere sagen, endlich kommt ein winzig kleiner Teil des Geldes beim Volk an. Was meinst du?

Ganz zum Ende komme ich nochmals auf die beiden Manager zurück. Natürlich wird Pep die kommende Saison sein ManCity wieder anleiten, natürlich wieder die englische Meisterschaft als vorrangiges Ziel ausrufen. Öffentlich. Damit baut er allerdings immer wieder einen Schutzwall, um für ein eventuelles Ausscheiden international gerüstet zu sein. Den im tiefsten Innern, dürfte Pep vor einem unruhigen Sommer stehen. International zählt nur die Champions League. Thomas Tuchel dagegen hat schon mal einen Eintrag in die Notizbücher im Etihad Stadium geschafft. Er ist in den engsten Kreis eventueller Nachfolger für Pep aufgestiegen. In ein, zwei Jahren hat er die echte Premiership kennen und lieben gelernt, die Sprache noch mehr verbessert, den deutschen Aktzent rausgespült. Zudem hat er beste Verbindungen zu PSG und letztlich zu Mbappé, ein weiteres Plus. Und er Pep besiegt, mehrmals, in sechs Wochen bei insgesamt drei Duellen. Und das können nun wirklich nicht viele Trainer von sich behaupten.

Keep the faith. RaMü.

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