Stadion an der Hafenstraße
 
Hallo Bloggs. Es gibt Vereine, die kriegt man einfach nicht unter. Rot-Weiss Essen gehört ohne Zweifel dazu. Im Moment heißt die Wahrheit zwar Regionalliga West, aber die Chancen stehen außerordentlich gut, bald wieder im Kreis der Etablierten anzukommen. Und das ist in Deutschland nun mal dritte Liga. Zwar ist da immer noch Luft nach oben, aber man wäre wieder im Kreis der "richtigen" Proficlubs angelangt. 2022 soll es endlich klappen und das Stadion an der Hafenstraße wieder bundesweit in den Fokus gelangen.
Der Stadteil Bergeborbeck wird wohl nicht unter den Topadressen von Essen zu finden sein. Irgendwie steht diese Ecke von Essen sinnbildlich für den Untergang des "alten Pott" und dem immer noch stattfindenden Strukturwandel. Die alten Fördertürme gibt es schon lange nicht mehr, die Kohlezechen sind versiegelt und die dazugehörigen Anlagen platt gemacht. In den Straßenzügen dominieren Kneipen, Tankstellen, Lagerflächen, internationale Fastfoodläden und Speditionen als Farbtupfer, die Wohnungengebäude sind oftmals immer noch staubgrau. An die ganz große Zeit erinnert dann noch der Stadthafen mit seinen Kränen und Solos. Kurzum, hier wird der Besucher nochmals ganz kurz in die Zeit entführt, als Rot-Weiss Essen noch eine Fussballmacht in Deutschland war.
Es war so ungefähr ein knappes Jahrzehnt nach dem zweiten Weltkrieg. Deutschland befreite sich noch immer  von den Schuttbergen und Trümmerhalden, hatte aber mit der Rückkehr ins "normale" Leben schon begonnen. Und dazu gehört auf jeden Fall der Fussball, zumal im Ruhrgebiet, der ehemaligen Waffenschmiede des untergegangenen dritten Reiches. Speziell Rot-Weiss Essen dominierte die Schlagzeilen. 1953 Pokalsieger, 1955 dann überraschend deutscher Meister. Und ... man steuerte mit Helmut Rahn den Siegtorschützen beim "Wunder von Bern" 1954 bei. Kaum jemand sprach von Dortmund oder Schalke, RWE war in aller Munde. Und dann kam noch 1957 die Einweihung der neuen Haupttribüne. Es war ein Fingerzeig für künftige Arenen. Ein frei schwebendes Dach, das ohne störende Stützen auskam. Es beherbergte auf seinen drei Rängen insgesamt 4.500 Sitzplätze und setzte weitere Maßstäbe. Es gab eine Gaststätte, eine Sporthalle, die komplette Geschäftsstelle, eine Saune mit Entmüdungsbecken, eine Wohnung für den Stadioverwalter, mehrere Zimmer für Nachwuchsspieler ( NLZ ) und Sielerwohnungen. Es war vorbildlich, nicht nur in Deutschland. Die Zeitungen schrieben gar vom "deutschen Highbury".
Dies alles ermöglichte im Prinzip ein Mann: Georg Melches. Der einstige Kumpel stieg bis zu einem kaufmännischen Direktor eines Zulieferers der Kohleindustrie auf, seine Firma baute die Koksöfen.
Es war die stimmungsvolle "Hölle" an der Hafenstraße, vorübergehend hieß es Georg Melches Stadion. Aber der Untergang kam schnell. 1977 war Essen zuletzt erstklassig und das einstige Vorzeigestadion musste mehrmals renoviert werden, ausgenommen der Haupttribüne natürlich. Ganz zum Ende hin war es gar nur noch ein Dreiviertelstadion, hinter einem Tor blieb es einfach offen.
Inzwischen haben sich die Gewichte gewaltig verschoben. Der BvB und S04 sind die Giganten mit der Außendarstellung, welche sich mit ihrer Bergarbeitertradition schmücken. Ist natürlich nicht falsch, aber nur RWE ging mit der Kohle Hand in Hand und daher zusammen mit ihr unter. Zu lange hängte man sich an diesen darbenden Industriezweig, der Strukturwandel und seine Folgen wurde zuerst unterschätzt und dann verpasst. Und wie sieht es heute aus?
Das Stadion an der Hafenstraße wurde 2012 abgerissen und der neue Ground nur wenige Meter neu errichtet. Viel Mühe hat man sich mit der Erinnerung ja nicht gemacht. Was vermutlich mehr an der Stadt oder am Bundesland als am Verein lag.
 
 
Weithin sichtbar ist ein Stadionmasten, welcher als einziges Überbleibsel sein Dasein fristet. Allerdings ist er nicht in Gebrauch.
 
 
Die Tagesbilder stammen alle aus dem Jahr 2016. Da war ich mal dort, aber zu keinem Spiel. Bei einem Match dann Ende 2021 habe ich aber festgestellt, es hat sich nichts geändert. Daher sind diese Bilder im Prinzip noch "aktuell".
Entlang der Zufahrt zur Haupttribüne des neuen Stadions gibt es mehrere Erinnerungstafeln. Auch der Bezug zur Kohle wird betont. Links die letzte Lore / Kohlewagen der 1973 geschlossenen Zeche Emil-Emscher, ganz rechts die Statue eines "Malochers".
 
 
Für Romantiker empfiehlt sich der Fußweg von der S-Bahnstation Essen-Bergeborbeck aus. Ein paar Wohnblöcke, die stillgelegte Eisenbahnbrücke und der Bahnübergang eignen sich noch für eine kleine Zeitreise in die Hochzeit dieser Region.
 
 
Blick über den Bahnübergang in Richtung Stadion mit seinem alten Stadionmasten.
 
 
Einer der bekanntesten deutschen Spieler von Rot-Weiss Essen. "Boss" Helmut Rahn war lange Zeit Gallionsfigur der Region, vom heimkehrenden Kriegsgefangenen zum Fussballweltmeister. Eine wahrhaftig deutsche Karriere.
 
 
Hier nun eine Luftaufnahme vom Übergang. Rechts noch das alte Stadion an der Hafenstraße, links der beginnende Neubau. Leider hat man von den Flutlichtern des alten Georg Melches Stadion nur den markierten übrig gelassen. Warum auch immer. Heute ist auf dem Gelände der Parkplatz angelegt, modern und zweckmäßig. Aber lieblos. Da hätte man mehr daraus machen können. © Alamy.
Auf jeden Fall ärgere ich mich bis heute, dass ich nie ein Match an der alten Hafenstraße gesehen habe. Ein Kumpel hatte mal gesagt, da siehste, fühlste  und hörste noch den Orginal Pott. Leider hat es nie geklappt. Auf jeden Fall singt man heute noch die alten Lieder, unter anderem "Stahl und Kohle formten den Verein, wir werden Melches immer dankbar sein. Wir sind sein Erbe angetreten, wir werden immer alles geben. Von der Hafenstraße kommen wir ..." Gänsehaut.
 
Keep the faith.
RaMü